Seit fast 30 Jahren lebt der Dokumentarfilmer Richard Gress regelmäßig in der Wildnis. Seine Überlebenstipps.
1. Ohne Vorkenntnisse in die Wildnis zu ziehen und dort für lange Zeit zu überleben, ist so gut wie unmöglich. Man muss Ressourcen sinnvoll nutzen. Training und präzise Vorbereitung sind entscheidend.
2. Feuerstein, Batterie, Lupe, Späne, Tampons: In Notsituationen ist es vorteilhaft, wenn man mit all den verschiedenen Utensilien eine Flamme erzeugen kann. Aber in der Praxis, wenn ich zum Beispiel während der Regenzeit wandere, zweimal am Tag Feuer machen muss und alles durchnässt ist, geht nichts über Machete und Feuerzeug. Ich spalte einen Stamm, hacke trockene Späne aus dem Inneren und entzünde innerhalb weniger Sekunden ein Lagerfeuer, nichts ist effizienter.
3. Ohne Nahrung kann man einige Wochen in der Wildnis durchhalten, ohne Trinkwasser ist nach zwei, drei Tagen Schluss. Bei extremer Dehydrierung ist es schwer, rational zu denken, und man macht Fehler. Die Wasserversorgung ist das A und O. Hunger kann man ignorieren, Durst dagegen frisst sich durch alle Gedanken.
4. Trinkwasser sollte sicherheitshalber abgekocht oder gefiltert werden. Gerade in abgelegenen Gebieten sollte man keine schweren Darmerkrankungen riskieren. Wenn der Körper erst einmal geschwächt ist, wird er anfällig für weitere Infektionen.
5. Keine Experimente bei der Nahrungszubereitung. Wenn man Beeren, Kräuter, Wurzeln oder exotische Tiere nicht kennt, haben diese im Kochtopf nichts verloren, egal wie lecker sie aussehen. Sogar gut schmeckende Speisen können tödlich sein.
6. Schusswaffen erhöhen die eigene Sicherheit in der Wildnis nicht. Die meisten Tierattacken geschehen unvermittelt und man wandert nicht ständig mit dem Gewehr im Anschlag. Stammeskrieger lassen sich durch Feuerwaffen nicht abschrecken, im Gegenteil, die teuren Waffen wecken Begehrlichkeiten.
7. Wenn man sich wilden Tieren zu Fuß nähert, sollte man genau auf ihre Körpersprache achten. Warnsignale sind manchmal sehr subtil und schwer zu deuten. Man läuft nie direkt auf die Wildtiere zu, sondern nähert sich im Zickzackkurs langsam an. Ein Restrisiko bleibt jedoch immer, ohne Erfahrung sollte man Abstand halten.
8. Tiere reagieren häufig sehr individuell. Bei einem Angriff macht es in 95 Prozent aller Fälle Sinn, stehen zu bleiben, sprich „keine Angst zu zeigen“. Egal ob es sich um Tiger, Löwe, Büffel oder Elefant handelt, der Bluff funktioniert meistens. Fortlaufen ist in der Regel das Schlimmste, was man machen kann. Aber es gibt Ausnahmen, wenn zum Beispiel ein Elefant den Rüssel und die Ohren anlegt, anstatt sie aufzustellen, den Kopf senkt, anstatt ihn zu heben, dann ist dies keine Drohgebärde, sondern bitterer Ernst.
9. Die Angehörigen von Naturvölkern sind Fremden gegenüber aufgeschlossen und reagieren nur selten aggressiv. Man sollte immer freundlich, aufgeschlossen und ohne Angst auf Einheimische zugehen. Wenn man bereits beim ersten Kontakt die Hose voll hat, wird der Aufenthalt kein Zuckerschlecken.
10. Teilnahme am täglichen Leben ist beim Besuch einer Stammesgemeinschaft das Entscheidende, Integration. Man sollte niemals sein eigenes Süppchen kochen. Als unbeteiligter, passiver Beobachter hinter der Kamera verliert man sehr schnell die Daseinsberechtigung, nichts ist schlimmer, als langweilig zu sein.
11. Man sollte mit der lokalen Bevölkerung immer so verkehren, dass man jederzeit wieder zu Besuch kommen könnte. Versprechungen machen, die man ohnehin nicht hält, ist ein absolutes No-Go.
12. Zu Beginn einer ehrgeizigen Expedition muss man sich durchbeißen. Der Alltag wirkt unfassbar schwer, aber man gewöhnt sich daran. Leider brechen viele Reisende ihre Vorhaben sehr schnell ab. Wir haben in der Zivilisation gelernt, Niederlagen schönzureden, und begründen unsere Aufgabe mit Vernunft. Wer vernünftig sein möchte, sollte jedoch grundsätzlich nicht in abgelegene Wildnisregionen ziehen.
13. Meine Art zu reisen sollte nicht als generelle Empfehlung verstanden werden. Ich schwimme mit Krokodilen, nähere mich Löwen auf wenige Meter, trinke jedes Wasser und tanze mit Kannibalen. Ich habe mich über zwei Jahrzehnte an dieses Leben gewöhnt und manchmal nur durch Erfahrung überlebt.
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Fotos: Richard Gress/privat