Karl-Heinz Brass träumte jahrelang davon, den Jakobsweg zu gehen.
Nach der Diagnose Parkinson erfüllte er sich diesen Traum. Wie er mit der Krankheit lebt und warum er jedem rät, einmal im Leben zu pilgern, erzählt er im Interview.
Herr Brass, was ging nach der Diagnose Parkinson in Ihnen vor?
Als ich die Diagnose bekam bin ich in ein tiefes Loch gefallen und wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte, wie ich reagieren sollte, wie ich weiterleben sollte. Ich habe mich zurückgezogen, um diese Diagnose zu verarbeiten, dann aber sehr schnell erkannt, dass dies keine Lösung ist. So habe ich gelernt die Krankheit zu akzeptieren und mit ihr zu leben.
Wie hat sich die Krankheit bei Ihnen bemerkbar gemacht?
Ich hatte Probleme den rechten Arm richtig zu bewegen, habe das aber anfangs abgeschoben auf Überlastung durch Gartenarbeiten und ähnliches. Als es nicht besser wurde, hat man mich von Pontius zu Pilatus geschickt, ich war bei Dutzenden Ärzten und keiner hat die Krankheit festgestellt. Schlussendlich hat die Diagnose ein holländischer Arzt in Spanien, wo ich lebe, festgestellt.
Die Parkinson-Therapie ist immer auch mit Medikamenten verbunden. Wie integrieren Sie das in Ihren Alltag?
Zuerst muss man die Krankheit akzeptieren – es ist, wie es ist. Danach ist es eine Kunst des Neurologen den Patienten richtig einzustellen. Parkinson ist eine Krankheit, die nicht gradlinig verläuft, daher ist die gute medikamentöse Einstellung umso wichtiger. Nach einigem Rumexperimentieren, hatte ich sehr viel Glück und meine Einstellung schlug schnell und gut an – ohne große Nebenwirkungen.
Wie leben Sie heute mit Ihrer Krankheit?
Es ist mein tägliches Brot, gehört zu meinem Leben dazu. Glücklicherweise muss ich nicht allzu viele Tabletten nehmen. Und die Medikamente einzunehmen ist für mich so normal wie der Kaffee am Morgen und sie helfen mir dabei, ein fast normales Leben zu führen.
Wann und warum haben Sie sich entschlossen den Jakobsweg zu gehen?
Ich habe mich schon immer für diese Pilgerreise interessiert, wollte sie immer laufen. Leider gab es aber auch immer Gründe es nicht zu tun – keine Zeit, kein Geld, schlechtes Wetter, etc. Also eher vorgeschobene Gründe. Als dann die Diagnose Parkinson kam, wurde mir bewusst, dass wenn ich diese Reise in meinem Leben noch schaffen möchte, ich das jetzt machen muss. Relativ schnell ist dann auch die Entscheidung gefallen, dass durchzuziehen.
Der Grund war also die Erfüllung eines langen Wunsches, aber auch, weil ich über mein Leben, meine Zukunft nachdenken wollte und zu mir selbst finden. Schlussendlich wollte ich mir aber auch selbst beweisen, dass ich mit einer solchen Krankheit auch diese Leistung bringen kann. So kam es, dass ich mich 2007 auf den Weg gemacht habe.
Wie haben Sie das durchgehalten?
Erstaunlich gut. Für diese Strecke, die in den spanischen Pyrenäen beginnt und in Santiago de Compostela endet, das sind 790 Kilometer, habe ich 28 Tage gebraucht. Das war ein unglaubliches Erlebnis, was mir wahnsinnig viel Spaß gemacht hat.
Wie hat Ihre Familie auf Ihre Pläne reagiert?
Sie haben nur mit dem Kopf geschüttelt, wollten mir davon abraten. Ich habe mich dann auf einen Kompromiss eingelassen.
Und der war?
Meine Frau ist mitgefahren, hat mich also quasi „undercover“ begleitet. Sie hat sich um die Übernachtungen gekümmert und war da, falls doch mal etwas mit mir passiert.
Was war das für Sie schönste Erlebnis der Tour?
Das schönste ist auch gleichzeitig das emotionalste. Als ich in Santiago angekommen bin, habe ich emotionale Momente erlebt, die ich mir vorher nie hätte vorstellen können und auch nie zuvor im Leben hatte. Den Jakobsweg zu gehen, ist kein Blümchenpflücken und das geschafft zu haben, hat mich einfach überwältigt.
Hat diese Pilgerreise Ihr Leben verändert?
Sie hat mein Leben komplett umgekrempelt. Nach der Tour habe ich beschlossen ein Buch über meine Erlebnisse zu schreiben, aber nur für meine Familie. Ich wollte all die Erkenntnisse, die ich in den 28 Tagen gewonnen habe, nicht für mich behalten. Durch einen Zufall bekam die PR-Agentur eines Pharmaunternehmens, das neurologische Medikamente herstellt, dieses Buch in die Hände.
So ist das Thema ins Rollen gekommen und das Buch wurde sehr bekannt. Vermehrt habe ich Vorträge gehalten, an Podiumsdiskussionen teilgenommen und wurde zu einer Art Berater für Parkinsonerkrankte, wie mich. Das hat mein Leben sehr beeinflusst und mir auch Kraft gegeben mit meiner Krankheit gut fertig zu werden.
2009 sind Sie noch einmal aufgebrochen.
Das ist richtig. Diesmal von Sevilla nach Santiago, über 1000 Kilometer. Ich wollte es noch einmal wissen, habe darüber auch ein Buch geschrieben und mittlerweile sogar einen Film gedreht.
Bitte erzählen Sie uns mehr über das Filmprojekt.
In den vergangenen Jahren hatte ich viele Vorträge vor Betroffenen und deren Angehörigen gehalten. Ziel meiner Aktivitäten war es immer, diesen Menschen Mut zu machen und niemals aufzugeben. Da ich auf diesen Veranstaltungen doch nur eine beschränkte Anzahl an Menschen erreichte und schließlich auch nicht jünger werde, habe ich einen Weg gesucht, meine Botschaften auf kürzeren Wegen einem größeren Interessenkreis zu vermitteln.
Dadurch kam mir die Idee einen Film zu drehen. Ich suchte einen Sponsor, eine professionelle Produktionsfirma, entwickelte das Konzept, schrieb ein Drehbuch, führte Regie und spielte schließlich auch die Hauptrolle.
Würden Sie jedem raten diese Reise einmal im Leben zu machen?
Ich kann das nur empfehlen, denn man kommt zu völlig neuen Erkenntnissen. Man hat plötzlich ein ganz anderes Gefühl zur Umwelt, zur Natur. Man erkennt, dass die Zeit, der man im Leben immer hinterherläuft, nicht alles ist.
Und was raten Sie Menschen mit Parkinson?
Auch der Weg zum Bäcker kann ein kleiner Jakobsweg sein. Besonders Menschen mit dieser Krankheit müssen sich viel bewegen, das Auto stehen lassen. Zudem macht Einigkeit stark, die Mitgliedschaft in der dPV, der Deutschen Parkinson Vereinigung, scheint mir für alle Betroffenen eine unverzichtbare Notwendigkeit zu sein. Ich lege jedem mein persönliches Lebensmotto nahe: Lasst uns aufhören darüber zu jammern, was nicht mehr geht, sondern das mit Freude tun, was noch möglich ist.